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  • 18.04.2024

Lernen in der Flüchtlingsunterkunft

Schulunterricht für Kinder im Haus Kopernikus der Stadtmission

Abdullah im Klassenzimmer

Abdullah beugt sich über sein Deutschbuch und setzt Häkchen in verschiedene Kästchen. Vor einigen Monaten kam der 16-Jährige aus Syrien nach Deutschland. Wie Hunderte andere schulpflichtige Geflüchtete in Berlin konnte er anfangs nicht zur Schule gehen.

„Die Wartelisten für Willkommensklassen sind viel zu lang.“

fand die Leiterin der Erstaufnahme-Einrichtung „Haus Kopernikus“ der Berliner Stadtmission, Christine Lox. Sie und ihre Stellvertreterin Kristina Rensing wollten, dass die geflüchteten Kinder aus ihrem Haus schneller einen Platz in einer Willkommensklasse erhalten.
„Darum haben wir uns vor rund einem Jahr mit Vertreter:innen des Schulamtes Friedrichshain-Kreuzberg getroffen“, erinnert sich Kristina Rensing. Dabei wurde klar: Neben Lehrenden fehlen in Berlin Klassenzimmer. „Wir hatten freie Seminarräume, die wir anbieten konnten“, sagt Sozialarbeiterin Kristina Rensing. Ein Jahr, viele Telefonate und einige Besuche später startete unter dem Dach der Berliner Stadt- mission endlich die erste Berliner Willkommensklasse in einer Flüchtlingsunterkunft: Dank der Hartnäckigkeit von Christine Lox und Kristina Rensing können so seit November 2023 im Haus Kopernikus bis zu 15 Kinder zwischen 12 und 16 Jahren Deutsch lernen. Das hört sich leichter an, als es ist: „Die Schüler:innen haben auf der Flucht sehr unterschiedliche Dinge erlebt und auch die Lern-Voraussetzungen sind sehr verschieden“, erklärt Jutta Platte. Die studierte Sozialarbeiterin hat eine Zusatzqualifikation und darf Deutsch als Fremdsprache unterrichten.

"Einige Kinder können nicht lesen und schreiben, andere brennen darauf, eine Regelschule zu besuchen."

Abdullah lernt während Mitschüler UNO spielen

Dazu gehört auch Abdullah. Während seine Mitschüler:innen aus der Ukraine, Tschetschenien, Russland, der Türkei oder Georgien nach der Klassenarbeit eine kurze Pause einlegen und beispielsweise Karten spielen, macht er weiter Kreuzchen und überlegt, welches Familienmitglied zu wem gehört. Er ist emsig und hat ein Ziel: „Arzt“, da scheint Abdullah sehr sicher. Aber zuerst möchte er sein Deutsch verbessern. Mit dem Verstehen klappt es schon ganz gut. Für seine Mitschüler aus Syrien und der Türkei dolmetscht er sogar schon einfach Dinge. Sprachmittler könnte auch Jutta Platte gebrauchen: „Aufgrund der Sprachbarriere gibt es leider kaum Kontakt zu den Eltern der Kinder.“ Manche sind auch alleine nach Deutschland geflohen und traumatisiert. Jutta Platte sagt: „Fragen nach der Familie vermeide ich, denn sie könnten Wunden aufreißen.“ Das betrifft die Schüler:innen in der sechsten Etage genauso wie die erwachsenen Geflüchteten, die in den Zimmern des ehemaligen Hotels untergebracht sind wie auch einige Mitarbeitende.

Kadar Yusuf im Hygienelager

So vermisst Kadar Yusuf seine fünf Kinder in Somalia. Täglich sind sie mehrfach per Videotelefonie in Kontakt. Der ehemalige LKW-Fahrer ist vor neun Jahren nach Deutschland geflüchtet und arbeitet mittlerweile als Hauswirtschaftskraft im Haus Kopernikus. Bei ihm können sich die Bewohnr:innen Hygieneartikel wie Shampoo, Toilettenpapier oder Bettwäsche holen. Mit dem Verdienst unterstützt der 36-Jährige seine Familie, die gerade um ein Enkelkind gewachsen ist. Kadar Yusuf hat es geschafft. Er hat ein eigenes Zimmer im „Refugio“ in Neukölln. In dem Projekt der Berliner Stadtmission leben Erwachsene und Kinder mit und ohne Fluchterfahrung in gemischten Wohngemeinschaften zusammen. Denn Integration ist nur möglich, wo sich Menschen begegnen, einander zuhören und respektvoll austauschen.