Menschen und Geschichten
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  • 08.04.2025

Erleichtert sein für den Tag

Katharina Schridde ist Seelsorgerin – seit kurzem auch für obdachlose Menschen

Sie hat Religion unterrichtet, war Stadtmissionarin der Gemeinde Friedrichshagen, hat Frauen mit häuslicher Gewalterfahrung betreut und ist für die Mitarbeitenden der Berliner Stadtmission da. Seit kurzem hört Katharina Schridde auch obdachlosen Menschen zu, die Sorgen haben.

Was motiviert Sie zu Ihrem Job, Katharina Schridde?
Es freut mich, wenn Menschen lebendig sind. Manche Seelen sind durch innere oder äußere Ereignisse sehr belastet und ausweglos in sich selber gefangen. Wenn wir es schaffen, ihnen mit ihrem ganzen Leben das Atmen wieder zu ermöglichen und einen freien Blick, dann ist das fast so ein bisschen, wie Geburtshelferin zu sein. Das finde ich sehr schön und kostbar. Nicht jedes Seelsorgegespräch dringt in große Tiefen vor. Manchmal ist es nur ein Sich-Aussprechen und Erleichtertsein. Es ist schön, wenn ich merke, jemand ist ein bisschen erleichtert für den Tag.

Wie haben Sie ihr Talent als Seelsorgerin erkannt?
Immer wieder haben Menschen mir gesagt, dass es für sie hilfreich war, mit mir zu sprechen oder einfach zu spüren, dass ich ihnen zuhöre. Die Anfragen sind mehr geworden und in meinem Kalender haben sich die Schwerpunkte verschoben. Plötzlich hatte ich sehr viel mehr Seelsorgetermine als andere Aufgaben.

Seit dem Sommer sind Sie auch Seelsorgerin für obdachlose Menschen.Was ist da anders?
Alles. Seelsorge mit Menschen, die in einem sicheren Umfeld wohnen, ist meist ein ruhiges Gespräch an einem geschützten Ort. Häufig bin ich mit der Person alleine, ohne Ablenkung. Oft entwickeln sich daraus auch Folgegespräche und eine längere Begleitung. All das ist bei Menschen anders, die ohne Obdach sind. Die Gespräche finden in der Regel vor der Kleiderkammer statt und sind sehr kurz.

Warum?
Weil dann die nächste Aufgabe, vor die sich dieser Mensch gestellt sieht, wieder da ist. Das kann heißen, Flaschen sammeln oder betteln oder sich um seine Bekleidung kümmern oder irgendwo hin müssen. Viele, die auf der Straße leben, sind sehr unruhig, immer auf dem Sprung: Wo bin ich? Was ist jetzt? Und was muss ich machen? Diese Fragen treiben sie ständig um.

Welche Themen besprechen Sie?
Die Gespräche sind eher punktuell und es geht um Konkretes: Wie finde ich eine Wohnung? Oder: Ich habe Angst vor der Nacht, weil da Gewalttätigkeit droht. Die meisten obdachlosen Menschen sprechen Sprachen, die ich nicht beherrsche. Darum müssen wir mit reduziertem Vokabular umgehen. Das dämpft die Tiefe. Außerdem haben viele Menschen, die obdachlos sind, körperliche und vor allem psychische Probleme wie Psychosen, Wahnvorstellungen, Depressionen.

Spielt auch Suchtmittelabhängigkeit eine Rolle?
Ja, Substanzmittelmissbrauch durch Drogen und Alkohol setzt die Menschen zusätzlich unter Druck. Darum müssen die Gespräche kürzer, prägnanter und präziser sein. Was im Augenblick gesagt wird, nimmt die Person mit. Ob es richtig oder falsch war, dazu bekomme ich wenig Rückmeldung. Das ist in anderen Seelsorge-Beziehungen anders.

Was gefällt Ihnen an der Seelsorgearbeit mit obdachlosen Menschen?
Ich mache sie gerne, weil ich oft erlebt habe, dass obdachlose Menschen sehr viel unmittelbarer reagieren
als Menschen, die in äußerlich sicheren Verhältnissen sind und Haltung bewahren. Menschen in Obdachlosigkeit zeigen, was ist und wie es ihnen geht, manchmal auch ein bisschen drastisch. Je länger ich diese Arbeit mache, desto mehr Mut habe ich auch selbst, Dinge direkt zu benennen.

Wie bereiten Sie sich auf schwierige Gespräch vor?
Ich bin Pastorin und glaube tatsächlich auch, was ich da erzähle. Es gibt ja verschiedene Arten von Frömmigkeit. Ich bin nicht ständig in einem Gebetsgespräch mit Gott, sondern spüre eher eine tiefe innere Verbundenheit. Wenn ich in ein schweres Gespräch gehe, dann richte ich mich innerlich aus. Bist du bei mir Gott? Wir gehen da jetzt gemeinsam hin. Es ist mir ganz wichtig zu wissen, dass ich nicht alleine unterwegs bin.

Wie bleiben Sie als Seelsorgerin ausgeglichen?
Ich bin seit 1999 seelsorgerlich tätig und habe Menschen oft auf geistlichen Suchbewegungen begleitet. Es gibt nur noch selten Situationen, die mich überraschen oder erschrecken. Trotzdem: Jeder Mensch ist höchst individuell in seinem Schmerzempfinden, in seinem Leidempfinden, auch in seiner Hoffnungsfindung, und ich verliere deswegen nicht mehr innerlich den Halt. Gleichwohl kommt es vor. Aber die Grundfragen, die Grundthemen, das Grunderschrecken, was Menschen alles erleben müssen, sind mir inzwischen weitgehend bekannt. Aber es gibt auch immer wieder Schicksale und Ereignisse, die mich wirklich dauerhafter beschäftigen. Dann habe ich eine Supervisorin, mit der ich im Bedarfsfall sehr gut arbeiten kann. Und manches kann ich dann auch nur noch im Gebet an Gott weitergeben und ihn um Begleitung eines Menschen in großer Not bitten.

Was sollten Menschen tun, die merken, etwas verändert sich. Sie sind antriebslos, sehen alles negativ, empfinden keine Freude?
Wenn jemand merkt, dass sich im Lebensgefühl deutlich etwas in dieser Weise verändert, dann kann es gut sein, zu einem Hausarzt zu gehen und die Notwenigkeit einer Therapie abzuklären. Inzwischen kann es hilfreich sein, mit einem Freund, einer Freundin zu sprechen. Einfaches Erzählen kann Entlastung bringen und schon eine große Hilfe sein. Seelsorger:innen findet man zudem in jeder Kirche. Auch ohne christlichen Glauben kann man in ein Pfarrbüro gehen und sich weitervermitteln lassen oder um ein Gespräch mit dem oder der Pfarrer:in bitten.

Und wem das zu umständlich ist?
Der kann die kirchliche Telefonseelsorge anrufen. Die haben eine hervorragende Ausbildung und sind fast immer zu erreichen. Es kann sein, dass man nicht sofort durchkommt. Dann muss man eine Stunde warten und es noch einmal versuchen. In höchster Not – nach Unfällen oder Gewalterfahrungen – kann man selbstverständlich auch bei der Polizei anrufen und sagen, ich brauche jetzt dringend intensive psychologische Begleitung. Die bekommt man dann auch.