Wenn ich zurückdenke kommt mir der November ziemlich versoffen vor. Ich bin ehrlich – es stimmt. Das heißt nicht, dass jeder Tag ein Alkoholexzess war. Im Gegenteil – wir haben teilweise sehr gesittet getrunken. An einem Donnerstag Anfang November habe ich einmal mit Janina und Madita zusammen gekocht. Wir standen drinnen in der Küche, unsere Mitbewohner*innen saßen im Esszimmer und schnippelten. Während wir das Essen in der kleinen Küche vorbereiteten, einen Teig backten und Tomate-Mozzarella schnitten, tranken wir Wein. Der Wein gehörte dazu, zu der Atmosphäre, zu dem November. Nebenbei hörten wir die französische Sängerin Zaz.
Vielleicht lag es an dem trüben Wetter und dem dichten Nebel, dass wir so viel getrunken haben. Die Tage wurden immer kürzer und kälter. Unsere meist abendlichen Prosecco-Pong-Spiele heiterten die Stimmung auf. Björn Peng wurde angemacht, die schäbigen Plastik-Prosecco-Gläser auf den Esstisch gestellt, Teams gebildet. Einmal haben wir dabei sogar die Oper „Der Freischütz“ von Weber gehört. Es war wundervoll.
Die Tatsache, dass wir Mitte November in Quarantäne gehen mussten, machte die Lage nicht besser. Glücklicherweise haben wir kurz zuvor einen Großeinkauf mit Miles (Miet-Auto) gemacht. Die Essens- und Alkohollager waren aufgefüllt. Dennoch will ich diesen Monatsbeitrag nicht allein auf die Trinkgelage reduzieren. Wenn ich an die Quarantäne zurückdenke, denke ich nicht nur an literweise Wein, Shots und Prosecco. Ein paar andere Dinge wie Kreuzworträtsel, Subway-Surfers, Netflix und die schöne Übernachtungsparty bei Celina fallen mir ebenfalls ein.
Auch die Kunst kam während der Isolation nicht zu kurz. Janina hat in ihrem Flur eine ganz tolle große Pflanze gemalt und Nils hat seine Wand rot gestrichen und anschließend das Profil einer Frau draufgemalt. Ich hab unseren Flur verschönert oder verunstaltet. Dieser entwickelte sich übrigens zu einem richtigen Friseursalon. Hier wurden und werden Haare geschnitten, gefärbt oder komplett abrasiert. Die beiden Hauptfriseusen sind Thalia und Janina. Zwischen den vielen Möbeln, die eigentlich längst zum Sperrmüll hätten gebracht werden sollen, lagen immer wieder Haare in unterschiedlichsten Farben und Formen. Auch wenn wir diese immer fleißig weggeräumt haben, bekam der Flur dann doch irgendwann einen neuen Namen: „Ramschallee“.
Um den Abstand einhalten zu können, haben wir während der Einzelisolation dort gegessen, Kreuzworträtsel gelöst, Subway-Surfers gespielt, geredet und all die anderen Dinge gemacht. Der Flur wurde zum neuen Ess-und Wohnzimmer. Auf ihm fand beinah unser ganzes Leben statt. Von dem Leben um uns herum bekamen wir nur wenig mit. Da warteten die Obdach- und Wohnungslosen vor der Notübernachtung, in denen wir eigentlich ab November regelmäßig hätten arbeiten sollen. Der Kältebus fuhr. Blaulicht leuchtete immer wieder durchs Fenster, Sirenen klangen dumpf durch die Wände. Draußen war viel los, doch wir waren drinnen. Drinnen auf unserem Flur.
Drinnen zu sein war auch mal schön. Es war eine Auszeit von draußen – von dem Leid, der Kälte, dem Nebel. Am letzten Quarantänetag sind ein paar aus meiner WG und ich nachts spazieren gegangen, hinaus in die Kälte und in den Nebel. Es war erfrischend und wunderschön. Bis 03:00 Uhr liefen wir durch Parkanlagen und Straßen. Wir liefen durch Berlin. Es roch nach Erde und Abgasen. In einem Vorgarten schlief friedlich ein Obdachloser.
Pia und eigentlich fast gar nicht Madita