Politisches Seminar

Warum machen wir das FSJ hier bei der Stadtmission? Wer hilft uns bei den Schritten zur Lösung der sozialen Ungerechtigkeit? Woher kommen wir und wie glücklich können wir uns schätzen, heute hier leben zu dürfen, in einer Demokratie? Mit diesen Fragen konfrontierte man uns im politischen Seminar und forderte somit heraus, über den eigenen Tellerrand zu blicken.

Gruppenselfie vorm Bundestag

Wir fanden uns am Montag direkt im Zentrum der politischen Macht Deutschlands, nämlich am Bundestag, ein. Es war noch relativ früh, sodass sich einige von uns leicht übermüdet in den ersten Programmpunkt des Tages schleppten. Ein Vortrag im Parlamentssaal des Bundestags, der Potenzial hatte, uns alle wieder ins Land der Träume zu schicken, zum Glück aber das Gegenteil brachte und einen guten Einstieg bot die unsere drohende Müdigkeit besiegte. Es folgte eine Besichtigung der Kuppel und ein Mittagessen im Paul-Löbe-Haus, bevor wir uns zum Highlight des Tages, einem Gespräch mit einer Politikerin der CDU, einfanden.Wir konnten Fragen zur Sozialpolitik und natürlich auch genauer auf die Obdachlosigkeit bezogen stellen. Vielen von uns war dieser Termin sehr wichtig, um für sich herauszufinden, wie ernst die Politik dieses Thema wirklich sieht, bzw. was überhaupt in führenden Positionen gemacht wird. Wie offen sind sie für die Lösung dieser Probleme?

Ottilie Klein gemeinsam am Tisch mit FSJler*innen im Gespräch

Das Gespräch war leider eher eine Wahlkampfveranstaltung der Politikerin für ihre Themen und ihre Partei. Sonderlich wurde auf Fragen nicht geantwortet, da jegliche Antwort mit der Hervorhebung der eigenen Parteithemen endete. Das typische "Politiker*innengerede", viel reden und nichts sagen, wurde zur Perfektion ausgeführt.
Wir sollten aber im Laufe des Tages noch Positivbeispiele aus der Politik kennenlernen:

Nach diesem spannenden aber dennoch leicht enttäuschendem Auftritt, machten wir uns in der Mittagshitze zurück auf den Weg ins ZAH in der Lehrter Straße, wo Matthias Hamann, der „Mann für Politik“ in der Stadtmission, auf uns wartete und von seiner Vernetzungsarbeit und der Wichtigkeit von politischer Aufmerksamkeit für soziale Gleichheit und der Unterstützung von Organisationen, die den Sozialstaat unterstützen sollen, berichtete. Ohne diese geht es nicht.

Er berichtete von sehr engagierten Politkern, die sich teilweise nach einem langen und harten Arbeitstag noch die Zeit genommen hatten, die Notübernachtung in der Lehrter Straße kennenzulernen, um sich ihr eigenes praktisches Bild von sozialer Arbeit in Berlin zu bilden.
Diese stille Hintergrundarbeit mitzubekommen, war für viele von uns etwas sehr Schönes und Befreiendes. Da die Kommunikation zwischen Politik und Gesellschaft nicht immer die Beste ist, ist es nie wirklich klar, wer sich um welche Themen kümmert, wer überhaupt von welchen Themen weiß und ob überhaupt etwas gemacht wird. Dadurch, dass dies nie richtig klar ist, kommt oft die Vorstellung hoch, es würde kaum etwas oder gar nichts politisch passieren und man würde allein gegen diese Probleme ankämpfen müssen.
Nun zu hören, dass es Menschen gibt, die, ohne im Rampenlicht zu stehen, solches Engagement zeigen, war ein Lichtblick für uns alle.

Somit ging der erste Tag zu Ende.

Gurppe Menschen sitzen auf der Mauer

Der Dienstag und Mittwoch waren vor allem von aktuellen Themen auf der ganzen Welt gespickt. Klimawandel, moderner Kolonialismus und vieles mehr wurden in Gruppen erarbeitet und später vorgetragen. Was wir dabei lernten, war, dass jede/r von uns etwas machen kann und jede/r, der etwas macht, auch Einfluss auf die Verbesserung von Zuständen auf der ganzen Welt hat. Man sollte nicht einfach nichts machen, weil die Masse an Problemen und die Komplexität der Lösungen einen überfordert. Jeder kann etwas zur Besserung beitragen und sollte es auch.

Mit dieser Message im Hinterkopf, machen wir uns auf, in die Bernauer Straße, wo ein Zeitzeuge aus der DDR von seinen Erlebnissen, auch als politisch Aktiver, erzählte. Es wurde emotional und zeigte uns allen nochmals, wie wichtig Freiheit und Demokratie ist, wie glücklich wir uns schätzen sollten und wie sehr wir sie beschützen sollten.

Besonders schön war es, das ganze theoretische Wissen über den Kalten Krieg bzw. die DDR auch wieder mit Gefühlen aufzufrischen. Da wir diese Zeit zum Glück alle nicht mitgemacht haben fehlt uns der direkte Bezug zur Grausamkeit, die uns nur Zeitzeugen geben können.
Diese Emotionalität sollte sich auch in den beiden letzten Tagen des Seminars wiederfinden.

FSJler*innen bei der Führung

Der Donnerstag wurde der Erinnerung an die Grausamkeiten der NS-Zeit gewidmet. Aufgeteilt in vier Gruppen begaben wir uns zum Haus der Wannseekonferenz, in die Topografie des Terrors, ans Gleis 17, oder an das Holocaustdenkmal. Es war traurig mit anzusehen, wie sehr manche, vor allem junge Menschen, dieser ausgestellte Schrecken kaltließ, sie schreiend durch Ausstellungen rannten, sich auf Denkmäler setzten oder Selfies an Orten machten, die nicht dafür gebaut wurden. Es wirkte, als sei die Demokratie für diese Menschen, Normalität und nichts, was Teilnahme und Schutz benötige.
Damit uns so etwas unter keinen Umständen geschieht und wir auch bei diesem Thema Wissen mit Emotionen verbinden können, machten wir uns am Freitag auf den Weg ins KZ Sachsenhausen in Oranienburg.
Wir haben zunächst eine 2-stündige Führung bekommen, die uns das Gewaltverbrechen näherbringen konnte, auch wenn wir alle nie die wahren Erlebnisse der Häftlinge zu dieser Zeit nachempfinden werden können. Die Brutalität im Vergleich zu unserem Leben ist nur abstrakt vorstellbar.

Um dennoch tiefer in die persönlichen Erfahrungen eintauchen zu können, hatten wir das Glück, mit einer Zeitzeugin sprechen zu dürfen. Sie war als kleines Mädchen mit den Schlussgefechten Berlins eingesperrt worden und kämpfte zusammen mit ihrer Mutter und Schwester ums Überleben. Durch die eindrückliche Erzählweise ihrer Erlebnisse sind wir ihr zu großem Dank verpflichtet, dass sie diese Zeit ihres Lebens mit uns geteilt hat und werden sie und ihre Geschichte niemals vergessen.

Mit dieser nachhaltigen Begegnung machten wir uns zurück auf den Weg nach Berlin und waren Dankbar um jeglichen politischen Input, den wir aus dieser Seminarwoche mitnehmen konnten.