Menschenwürde hat keinen Feierabend
Heute war ein sehr bewegender Tag für mich. Tagtäglich kann man gut am Beispiel der Bahnhofsmission am Zoo die verschiedenen Welten sehen, in denen wir leben. Auf der einen Seite des Bahnhofs Zoos sind die Läden und Geschäfte, der Berliner Zoo, der viele Kinderaugen strahlen lässt - aber auf der anderen Seite ist es kalt, es stinkt nach Urin und billigem Fusel. Kleine gelbe Urinseen sammeln sich zu Pfützen. Man kann es sich nicht vorstellen, aber ja es gibt Menschen die genau dort "leben"! Hunger, Alkohol, Drogensucht und vor allem die Einsamkeit treiben sie in diese unwirkliche Welt. Der U-Bahnschacht, in dem die letzten Jahre noch Jannek schlief, ist jetzt leer...
Ich würde euch gerne erzählen, dass er von der Straße weg kam und nun ein glückliches Leben führt. Ich hoffe, dass in der Welt, in der er nun ist, sich dieses Glück erfüllt. Ich komme also dahin, um in irgendeiner Weise diesen Menschen ein halbwegs würdevolles Dasein zu ermöglichen. Daher ist es für mich eine Selbstverständlichkeit, Klienten beim Wechseln ihrer schmutzigen Klamotten zu helfen. Eigentlich hätte ich Feierabend, aber kann man das? Nein die Menschenwürde hat keinen Feierabend, also schicke ich die Frau nicht mit ihren offenen Beinen und vollen Schlüppern weg, sondern ziehe die Handschuhe an und helfe ihr, sich zu waschen. Ihr macht euch keine Vorstellung darüber, welche Gedanken einem durch den Kopf gehen, wenn du mühevoll versuchst, ohne weitere Verletzungen zu verursachen, Strümpfe und Ähnliches den Menschen im wahrsten Sinne des Wortes von der Haut zu schälen.
Am Ende des Tages weiß man, dass man fast 600 Menschen etwas Zeit und Essen schenken konnte oder den ein oder anderen Tee, auch für die innere Kälte! Man geht nach Hause und weiß: Man hat nicht die Welt verändert, nur kann man hoffen, dass nicht weitere Plätze in der Zukunft leer werden.
Judith, Ehrenamtliche Mitarbeiterin der Bahnhofsmission am Zoo
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