Weihnachten am Hauptbahnhof - Ein etwas anderes Fest
Wie in den meisten Familien gibt es auch in meiner Traditionen zu Weihnachten: Der Baum wird aufgestellt und geschmückt, meine Mutter macht das Essen, an einem Tag besucht man die Großeltern und an Heiligabend geht es in den Gottesdienst. Das gehört eben einfach dazu!
In den ersten Jahren, nachdem ich bei der Bahnhofsmission am Hauptbahnhof angefangen hatte, waren mir diese Traditionen auch noch unheimlich wichtig. Vor einigen Jahren dann gab es niemanden, der die Schicht und die Vorbereitung für den Gottesdienst zu Weihnachten übernehmen konnte, also war ich dran. Seitdem gehört für mich zu Heilige Abend der Gottesdienst im Hauptbahnhof fest in meine Planung.

Denn an meine Dienste an diesem Tag kann ich mich immer noch besonders gut erinnern:
Ein Corona-Jahr, als die Obdachlosen den Bahnhof verlassen sollten und wir sie wieder eingesammelt haben und in die Bahnhofsmission eingeladen haben. Ein Jahr habe ich mich stundenlang mit einem Mann unterhalten, der in einem Zelt mitten im Wald lebte. Ich habe ihn dann sehr lange nicht gesehen. Dieses Jahr kam er wieder in der Weihnachtszeit und fragte mich, ob ich mich noch an ihn erinnern würde. Das konnte ich. Oder letztes Jahr, als wir mit einer Handvoll Stammgäste nach dem Feierabend noch Würstchen und Kartoffelsalat gegessen haben.
Die Stimmung an Heiligabend ist einfach immer besonders. Deswegen habe ich gedacht, die Familientraditionen sind schön, aber vielleicht ist es auch an der Zeit, mir meine eigene Tradition zu schaffen. Denn kann ich die Weihnachtsabende zu Hause eigentlich noch auseinanderhalten? Bis auf das eine Jahr, als ich ein riesiges Barbiehaus geschenkt bekam, verschwimmt doch vieles. Zu Weihnachten in der Bahnhofsmission gehört auch der Heilig-Abend-Gottesdienst der Berliner Stadtmission um 22:00 Uhr in der Bahnhofshalle im Hauptbahnhof. Wie toll ist das? Mein täglicher Arbeitsort, der geprägt ist von vielen Menschen, einem enormen Geräuschpegel, Hektik und Trubel – wird für eine Stunde ein ruhiger Ort zum Innehalten.

Die Wenigsten sind da, weil der Gottesdienst „eben dazu gehört“.
Viele Menschen sind auf der Durchreise und bleiben nur wenige Momente stehen, um den Worten und der Musik zu lauschen. Da sitzen die gut betuchten Einwohner aus Berlin-Mitte auf den Bänken. Sie hätten auch in eine Kirche gehen können, haben sich aber bewusst für diese Atmosphäre entschieden. Dazwischen unsere Gäste, die tagtäglich in die Bahnhofsmission kommen, weil sie nicht wissen, wo sie sonst hingehen sollen. Für diese eine Stunde sind alle gleich.
Auch dieser Gottesdienst beinhaltet die Weihnachtsgeschichte und ein lautstark geschmettertes „Oh du fröhliche“ und ist doch anders. Zum einen liegt das am Ort, mitten im Bahnhof unter dem großen Weihnachtsbaum, zum anderen vermittelt die Musik von Simon Paterno, Mirjam Schläper und Ann-Christin Hansen pure Freude. Die Stimmung ist lebendig und zwanglos. In der ersten Reihe, direkt vor der Bühne, liegt ein dicker Hund auf dem Boden. Das Bläserquintett des Bundespolizeiorchesters spielt und sorgt für ein abwechslungsreiches Programm. Ich habe sie in diesem Jahr das dritte Mal hören dürfen. Das spricht für die gute Beziehung zur Berliner Stadtmission.

In der Predigt spricht Stadtmissionsdirektor Christian Ceconi von aktuellen Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen und vermittelt dennoch Hoffnung. In unserem Verständnis ist die Arbeit der Bahnhofsmission „gelebte Kirche am Bahnhof“. Der Gottesdienst reiht sich an dieser Stelle nahtlos ein. Mit der Kollekte wurde auch unsere Arbeit unterstützt. Am Ende kamen fremde Menschen zu mir und danken mir für unseren Einsatz. Es war einfach wie in jedem Jahr eine rund um gelungene Veranstaltung und ich weiß, dass ich im nächsten Jahr wieder dabei sein werde.
Anke Voigt | Leitung Bahnhofsmission Berlin Hauptbahnhof