Zeitgemäß Kirche sein
„Wir können viel von Menschen unserer Zeit lernen, wenn wir ihnen aufmerksam zuhören.“

Zeitgemäß Kirche sein will die Berliner Stadtmission, im Zusammenspiel ihrer Arbeitsbereiche wie beispielsweise den Gemeinden, sozialen Einrichtungen, Kindergärten und auch den Hotels und Gästehäusern. „Dahinter steckt die Aufgabe, den christlichen Glauben, das Evangelium von der Liebe Gottes zu allen Menschen, so zu leben und bezeugen zu können, dass wir in der nachchristlichen Gesellschaft etwas davon verstehen können und berührt werden“, erklärt Pfarrer Gerold Vorländer.
Der Musiker und systemische Coach leitet bei der Berliner Stadtmission seit 2014 den Dienstbereich „Mission“. Um als Kirche aktuell zu bleiben, muss sie als Lernende unterwegs sein, erklärt Gerold Vorländer: „Wir können viel von den Menschen unserer Zeit lernen, wenn wir ihnen aufmerksam zuhören. Aber wir können auch ganz viel lernen, wenn wir in die Vergangenheit hinabsteigen.“ Seit mehr als 20 Jahren studiert er deshalb die Spiritualität, Theologie und Missionspraxis der frühen keltischen, iro-schottischen Mönche. In diesem Rahmen hat er gerade eine Studienreise organisiert. Im vorigen Jahr erschien dazu sein Buch mit dem Titel „Als die Mönche die Heimat verließen. Historische Geschichten und Impulse für heute.“ Zudem hat er mit der evangelischen Arbeitsstelle für Mission und Profilbildung „midi“, dem Pilgerzentrum St. Jakobi und auch Bewegungen wie „Fresh X“ ein Symposium dazu für kommenden Oktober vorbereitet.
„Sie hatten ein Verständnis von Mission als gemeinsame Pilgerschaft in die Fremde, um Christus näher zu kommen.“

Worum geht es genau? Gerold Vorländer beschreibt eine segensreiche kirchengeschichtliche Phase und Bewegung, die leider über viele Jahrhunderte verschüttet und vergessen gewesen sei: In der Zeit der Irlandmission des heiligen Patrick im fünften bis zu den zerstörerischen Feldzügen der Wikinger im neunten Jahrhundert war eine höchst vitale christliche Bewegung auf Europas Wasser- und Landstraßen unterwegs und verbreitete das Evangelium in Mitteleuropa auf eine faszinierende Weise. Gerold Vorländer sagt: „Mit einem Verständnis des Evangeliums, das sich in vielem sehr deutlich von der Mainstream-Theologie unterschied.“
Diese Mainstream-Theologie der Westkirche – und daran habe auch die Reformation nicht gerührt – beruhte auf einem schwarz-weißen Drinnen-Draußen Bild, einem bis auf die Knochen negativen Menschenbild als Sünder und einer starren Lehre von der Dreifaltigkeit Gottes. „Darin ging es primär um richtig und falsch – und damit um Machtbehauptung“, erklärt Gerold Vorländer. Wie anders dachten und lebten die keltischen Mönche! Sie hatten ein ganzheitliches Verständnis der Dreieinigkeit Gottes als lebendige Beziehung mit einer hohen Bedeutung des Heiligen Geistes, von der Schöpfung über den Lebensalltag bis zur Vollendung der Welt. Dazu ein Menschenbild, das ausgeht von all dem Guten, das Gott in uns hineingelegt hat, auch wenn es immer wieder massiv gestört wird. Das also seinen Fokus auf die Stärkung des Guten richtet und nicht auf die Bekämpfung des Bösen. „Sie hatten ein Verständnis von Mission als gemeinsame Pilgerschaft in die Fremde, um Christus näher zu kommen und um Menschen zu begegnen, die ihn nicht kennen, mit ihnen Leben zu teilen und ihnen das Evangelium zu bezeugen“, sagt Gerold Vorländer. Auch er versteht Kirche als Netzwerk lebendiger Zellen, nicht als Hierarchie einer Institution – dienend, nicht herrschend. „Wenn das nicht zeitgemäß ist!“