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  • 12.09.2023

145 Jahre Gemeinschaft im Kiez

Wenn es draußen warm ist und die Sonne scheint, lädt die Gemeinde Frankfurter Allee zum Mittag im Hof. In der Pandemie als Mittel gegen die Einsamkeit erdacht, sitzen auch jetzt immer mittwochs Nachbar:innen wie Helga, Oliver und Martina mit anderen lieben Menschen zusammen, essen gemeinsam Nudeln und plaudern über das, was sie gerade freut, ärgert oder bewegt. Dabei denken sie auch an Gerhard, der kürzlich verstorben ist. Ihm ging es wie vielen anderen in der Gemeinde, die dieses Jahr ihr 145. Jubiläum feiert: Er hat in seinem Leben eine Menge durchgemacht – und fand am Ende Menschen, die an ihn glaubten, eine besondere Gemeinschaft, die ihm geholfen hat und in der er anderen helfen konnte. Genau das ist es, was die Stadtmissionsgemeinde Frankfurter Allee zu etwas Besonderem macht.

Ein alter Mann Arm in Arm mit einer alten Frau bei Kaffee und Kuchen

Das ist schon seit der Gründung so, am 20. August 1878. Damals zogen durch die Industrialisierung viele nach Berlin. Sie hofften auf Arbeit und ein besseres Leben. Die meisten fanden keine Anstellung, keine Wohnung und verarmten. Doch es gab Menschen, die ihnen beistanden – mit Gottes Hilfe. Sie besuchten die Armen, beteten erst für sie – und dann mit ihnen. Sie gaben Hoffnung und teilten alles, was sie hatten. Und die anderen teilten wieder. So wuchs eine Gemeinschaft,die sogar ihr eigenes Gemeindehaus bauen und beziehen konnte. Das Gemeindeleben war rege – bis im ersten Weltkrieg alles zusammenbrach.

Jost Berchner gehört seit seiner Geburt zur Gemeinde und hat die Geschichte aufgearbeitet: „Im zweiten Weltkrieg wurde unser Haus zerstört, die Stadtmission enteignet.“ Zu DDR-Zeiten zwang das Regime die Gemeinde von der Frankfurter Allee wegzuziehen. 1989 wurde ein neues Gemeindehaus bezogen – im zweiten Hinterhof. „Nach der Wende starb die Gemeinde erneut. Wer konnte, verließ die heruntergekommene Gegend, um im Westen ein neues Leben anzufangen. Zurück blieben sozial schwache und enttäuschte Menschen, die von Kirche nichts wissen wollten“, weiß der 49-Jährige.

Gemeindemitglieder bepflanzen ein Beet

Doch die Gemeindemitglieder gaben nicht auf, klingelten während der Pandemie bei Menschen in der Nachbarschaft und boten ihre Hilfe an. Einsam waren damals Viele und das Mittagessen im Hof wurde geboren. Auch Noa fand so den Weg in den sonnigen zweiten Hinterhof. Erst nur zum Essen, inzwischen auch für tatkräftige Mithilfe. Mittlerweile ist Noa regelmäßig zu Gast in den Gottesdiensten und kürzlich sogar in die evangelische Kirche und die Gemeinde eingetreten. „Die offenen Menschen und die lebendigen Predigten sprechen mich an“, erzählt Noa. „Dass ich gern bunte Röcke trage, ist hier für keinen ein Problem.“ Im Gegenteil: Die Gemeinde feiert die Vielfalt. Wundervolle Menschen, die nicht aufgeben wollten und einen Weg aus den Krisen fanden, machen sie aus. Ihnen verdankt die Stadtmissionsgemeinde Frankfurter Allee ihr Bestehen. Weil sie anderen immer wieder helfen: Alleinerziehende mit Kindern nutzen den Winterspielplatz, Wohnungslose werden im Sommer mit Wasser und Sonnencreme versorgt, Geflüchtete integriert. Für Familien, ältere Menschen und alle, die im Kiez leben, gibt es den „einLaden“ als Nachbarschaftscafé und Ort für Ausstellungen und Konzerte.


"Die offenen Menschen und die lebendigen Predigten sprechen mich an."


Porträt Nico

Einer, der die Gemeinde seit kurzem begleitet, ist der junge Stadtmissionar Nicolas Viziotis, der von Stadtmissionarin Susann Friedl unterstützt wird. Der Theologe möchte Angebote wie das Mittagessen im Hof, „Chill & Grill“, das Treffen für Menschen um die 60 sowie die Jugendarbeit ausbauen und noch mehr Menschen aus der Nachbarschaft erreichen: „Dabei spielt es keine Rolle, ob man gläubig ist“, sagt er, „die Gemeinschaft ist das, was zählt. Denn dort begegnet man Gott manchmal ganz unverhofft, an einem ungewöhnlichen Ort.“ Einem Ort der Hoffnung. Zum Beispiel beim Mittag im Hof.

Hoffest zum 145-jährigen Jubiläum

Die Gemeinde Frankfurter Allee feiert dieses Jahr ihren 145. Geburtstag und gehört damit zu den ältesten Stadtmissionsgemeinden. Einen solchen Geburtstag feiert man ungern alleine, deshalb lädt die Gemeinde am Samstag, dem 16. September zu einem Hoffest unter dem Motto "Augen auf für Miteinander" ein! Ob alte Freund:innen, Interessierte aus der Nachbarschaft oder andere Neugierige - die Gemeinde freut sich über jede:n, der:die vorbeischaut. Es erwartet Euch ein vielfältiges Programm, auch Kinder und Jugendliche kommen auf ihre Kosten.

Hoffest in der Gemeinde Frankfurter Allee | 16. September | 14.00 bis 18.00 Uhr | Frankfurter Allee 96, 10247 Berlin