Menschen und Geschichten
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  • 11.12.2023

Arbeiten in einer Notübernachtung

Kältebusmitarbeiterinnen verpflegen obdachlosen Mann

Ich laufe mit dicker Winterjacke durch die Kälte, sehe jemanden in einer windgeschützten Ecke hocken und frage mich: Wie schlimm muss es sein, keinen warmen Rückzugsort zu haben. Seitdem ich mein FSJ bei der Berliner Stadtmission angefangen habe, tauchen solche Gedanken immer häufiger in meinem Kopf auf. Die Vorstellung, im Winter den ganzen Tag durch die kalten, grauen Straßen zu ziehen, schmerzt. Genau aus diesem Grund freue ich mich jedes Mal, wenn ich einmal die Woche von 20 bis 24 Uhr in der Notübernachtung in der Lehrter Straße arbeiten darf. Hier kann ich einen Teil dazu beitragen, dass zumindest bis zu 150 Gäste eine warme, sichere Nacht haben. Sie bekommen warmes Abendessen, neue Kleidung, ambulante Versorgung, können sich duschen und morgens frühstücken, bevor es wieder in die Kälte geht. Neben dem Stillen von Grundbedürfnissen versuchen wir die Menschen seelisch aufzufangen und bieten nach Wunsch Sozialberatungen an. Oftmals ist die Notübernachtung der einzige Ort, an dem unsere Gäste ein nettes Lächeln und liebe Worte erfahren.

Warteschlange vor dem Eingang der Notübernachtung

Darum ist die Arbeit am Empfang der Notübernachtung so schön. Ich begrüße die Gäste, schenke ihnen Aufmerksamkeit und merke, dass es etwas Positives in meinem Gegenüber auslöst. Manchmal läuft es aber auch nicht so freundlich ab und Gäste pöbeln herum. Das ist aber nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die Person seit Stunden in einer Schlange steht, um es wenigstens die Nacht über warm zu haben. Ebenso stößt man öfters auf Verständigungsschwierigkeiten aufgrund von Fremdsprachen oder starkem Alkoholkonsum. Beides in Kombination ist dann natürlich besonders spannend.

Nicht weniger wichtig ist die Aufgabe im Gepäckraum, in welchem ich in meiner ersten Nacht gearbeitet habe. Das Hab & Gut aller wird hier sicher bis zum nächsten Morgen verstaut. Das Wort „sicher“ hat dabei eine wichtigere Bedeutung als vielleicht angenommen. Denn leider müssen obdachlose Menschen auf ihr Gepäck stets ein wachsames Auge haben. Dass es ihnen geklaut wird, kann schnell mal passieren. Somit werden die ohnehin schon unruhigen Nächte draußen noch anstrengender. Aus diesem Grund schließen wir das Gepäck unserer Gäste ein.

Zwei Mitarbeitende schneiden Brot für die Gäste

Nach dem Einchecken und der Gepäckabgabe geht es weiter zum Abtasten. Wir müssen darauf achten, dass Waffen, Drogen etc. nicht mit hineingeschmuggelt werden. Ich hatte mir diese Aufgabe sehr unangenehm vorgestellt. Ich als 18-jähriges Mädchen soll erwachsene Menschen an Armen, Beinen, Oberkörper abtasten und im Haar sowie Nacken nach Läusen schauen. Es war zu Beginn auch unangenehm, aber nach vier-, fünfmal stellt sich schon eine Routine ein und man sieht es einfach als Job an. Herausfordernd wurde es nur als ein Pärchen hereinkam und schwer die Finger voneinander lassen konnte. Ich kam dadurch nicht wirklich dazu, beide nacheinander zu kontrollieren.

Manchmal kommt es auch dazu, dass Gäste nicht nur untereinander flirten, sondern es ebenso Annäherungsversuche in Richtung Personal gibt. Diese können charmant und lustig sein, aber leider auch mal unangebracht. Glücklicherweise sind mir bisher nur erstere passiert. Genauso musste ich noch keine ernsten Auseinandersetzungen zwischen Gästen und Personal erleben, wo jemand rausgeschmissen wurde oder die Polizei kommen musste. Im Gegenteil, ich hatte bisher überwiegend heitere Momente, in denen man mit dem Gast lockere Gespräche führen konnte. Das sind meiner Meinung nach die schönsten Augenblicke. Ich freue mich sehr, in Zukunft weitere schöne Momente in der Notübernachtung sammeln zu dürfen, unsere Gäste weiter kennenzulernen. Genauso wünsche ich mir aber auch, dass ich lerne mit brenzligen Situationen professionell umzugehen.