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  • 16.05.2023

Auszeit vom Alltag

Bei "Velofit" erleben Jugendliche Gemeinschaft - auch in den Ferien

Zuhause wäre sie nachmittags alleine, weil ihre Mutter arbeitet. Lieber fährt die 17-jährige Jolie deshalb zweimal wöchentlich eine Stunde von Pankow nach Kreuzberg zu „Velofit“. Dort, in der Zossener Straße, haben die Pädagogen Titus Gramann und Michael Breitenbach dem Mädchen seit ihrem 13. Lebensjahr Schritt für Schritt beigebracht, Räder wieder fit zu machen

Mädchen repartiert ein Fahrrad

Jolie hat sich dabei zu einer geschickten Reparateurin entwickelt und schlägt nun beherzt mit dem Hammer, um eine Lenkerstange zu lösen. Ihre Mutter war erst skeptisch, ob eine Fahrradwerkstatt für sie als Mädchen der richtige Platz ist. Doch die Begeisterung ihrer Tochter hat sie überzeugt. Repariert werden vorwiegend Räder aus dem Kiez. Je nachdem, wie lange die Jugendlichen dabei sind, können sie sich in der Fahrradwerkstatt auch ein gestaffeltes Taschengeld verdienen.

Für Jolie sind die beiden Pädagogen und die anderen Teenager fast zu einer Familie geworden. „Ich mag das Velofit. Hier fühle ich mich frei, denn das Klima ist extrem chillig“, erklärt Jolie. „Ich lerne, wie man mit Menschen umgeht und was eine Gemeinschaft ist. Das hätte ich jetzt in der Schule nicht so erfahren“, ergänzt sie und kümmert sich dabei um die Gute-Laune-Musik.

Nachdem die Kinder eineinhalb Stunden an Kunden-Fahrrädern geschraubt haben, folgt ein Ritual: Ein:e  Jugendliche:r holt vom Trinkgeld der Kund:innen Snacks. Dann sitzen alle am großen Tisch im Pausenraum. Der zwölfjährige Victor aus Berlin spricht die Kinder einzeln mit Namen an und fragt, wie es ihnen geht. Danach will er wissen, was jede:r während der Schicht gemacht hat. „So lernen die Jugendlichen, sich konkret auszudrücken“, erklärt Michael Breitenbach. Auch zwei Brüder aus der Ukraine machen Pause. Sie kommen seit einem Jahr in das Projekt. Anfangs konnten sie sich nur mit Händen und Füßen verständigen, inzwischen wissen sie, was 15er Schlüssel und Bremsbeläge sind.

Ein Teil vom Team steht und sitzt vor dem Eingang des Fahrradladens

„Die Jugendlichen können bei uns in einer angenehmen Atmosphäre positive Eindrücke für den späteren Arbeitsalltag sammeln und ihre handwerklichen Fertigkeiten verbessern“, erklärt Titus Gramann. Nebenbei wird der Nachwuchs auch noch in seiner Persönlichkeit gestärkt. 2022 haben die beiden Sozialarbeiter die Jugendlichen, die aus unterschiedlichen sozialen Schichten kommen und verschiedene Nationalitäten haben, insgesamt 768 Stunden begleitet.

Für die Sommerferien planen sie eine dreitägige Radtour. „Wie viele Kilometer fahren wir?“, fragt Anatoli, der eine Ausbildung zum Fahrradmechaniker machen will. „Damit niemand zurück bleibt, fahren wir nur so weit, dass wir es alle gut schaffen“, sagt Michael, „und übernachtet wird in Zelten.“ Die Kinder haben Lust auf das gemeinsame Abenteuer und erzählen von vergangenen Ausflügen an die Ostsee oder ins Erlebnisbad. Für Jugendliche wie Jolie, die in den Sommerferien keine ausgedehnte Urlaubsreise mit ihrer Mutter macht, sind solche Auszeiten ein Highlight.


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