Das Erntedankfest – ein Anlass, sich spannenden Fragen zu stellen
„Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise.“ (1. Mose 1,29)
Am Anfang war der Veganismus. So geht es aus 1. Mose 1 hervor, einem der bekanntesten Schöpfungstexte der Bibel. Aber dann, so wird schon kurz darauf bis in Kapitel 9 berichtet, kamen Sündenfall und Sintflut – und danach eine neue Aussage Gottes: „Alle Tiere werden sich vor euch [Menschen] fürchten müssen: die großen Landtiere, die Vögel, die Tiere, die am Boden kriechen, und die Fische im Meer. Ich gebe sie in eure Gewalt. Ihr dürft von jetzt an Fleisch essen, nicht nur Pflanzenkost; alle Tiere gebe ich euch als Nahrung. Nur Fleisch, in dem noch Blut ist, sollt ihr nicht essen; denn im Blut ist das Leben.“ (1. Mose 9,2-4)
Alle Tiere werden sich vor euch fürchten müssen. Ist das die Welt, in der wir leben möchten? Ist das die Welt, wie Gott sie ursprünglich gedacht hat? Der Theologe Gerhard von Rad versteht die Verse aus 1. Mose 1 nicht nur als Ursprungs-, sondern auch als Zielbild des Lebens. Fleischverzehr, wie er ab 1. Mose 9 zugelassen wird, wäre dann nur eine „Notlösung“, die in der faktisch in dieser Welt bestehenden Gewalt wurzelt. So schreibt es auch Bernhard Kappes in seinem Buch ‚Mitgeschöpfe‘ (222). Wer in 1. Mose 9 weiterliest, stellt fest: Gott schließt darin einen Bund, also ein Abkommen – und zwar mit Menschen und Tieren: „Ich schließe meinen Bund mit euch und mit euren Nachkommen und auch mit allen Tieren, die bei euch in der Arche waren und künftig mit euch auf der Erde leben, den Vögeln, den Landtieren und allen kriechenden Tieren. Ich gebe euch die feste Zusage: Ich will das Leben nicht ein zweites Mal vernichten.“ (1. Mose 9,9-11*) Soja-Anbau für Tierfutter, das der Mast dient, zerstört ganze Lebensräume wie bspw. die Regenwälder Südamerikas. Würden wir Menschen nur Pflanzen essen, könnten wir viel mehr Menschen ernähren. Industrielle Tierhaltung und Schlachtung macht aus Mitgeschöpfen reine Nutzmasse. Dabei achtet Gott Tiere sogar als Bundespartner.
Noch ein paar letzte Verse aus der Bibel: „Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit – ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat –, doch auf Hoffnung; denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.“ (Römer 8,19-21) Könnte die Gewaltfreiheit, die Jesus lebte, auch den Tieren gelten, denen mit diesen Versen offensichtlich auch eine Erlösung, also ein heiles, versöhntes, ewiges Leben (Jesaja 11,6-8; 65,25), zugesagt ist? Könnte an unserem Umgang mit Tieren und ja, auch an unserer Ernährung, etwas davon aufleuchten, dass wir Gottes Kinder sind? Erntedank ist kein Schlachtfest. Ist das vielleicht kein Zufall?
In jedem Fall bietet dieses Fest einen spannenden Anlass, sich Fragen zu stellen, zum Thema Essen, zu unseren Mitgeschöpfen und allem Leben um uns herum.
Denkanstoß zum Erntedank von Dr. Andrea Völkner, Stadtmissionarin im Weitblick