Menschen und Geschichten
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  • 14.02.2024

Digitalisierungsprojekt für Bedürftige

Wie geht es Dir?“, fragt Anke Voigt einen jungen Mann am Tresen. Die Leiterin der ökumenischen Bahnhofsmission am Hauptbahnhof hat Tommy lange nicht gesehen. „Gut“, sagt er und erzählt von seiner Freundin. „Für viele hier sind wir wie Familie“, weiß Anke Voigt. Auch deshalb liebt sie ihren abwechslungsreichen Job: Mal erklärt sie einem Stammgast ein Behördenschreiben, dann organisiert sie eine Umsteigehilfe für eine Frau mit Behinderung, telefoniert mit dem Deutschen Fußballbund wegen des Länderspielbesuchs mit obdachlosen Gästen und sitzt später am Computer und plant Dienste.

Bahnhofsmission unterhält sich vorm Thresen mit einem Gast

Die 35-Jährige hat ursprünglich Germanistik und Philosophie studiert und ist als Mitarbeiterin der Berliner Stadtmission die einzige Festangestellte am Standort: „Ich bin sehr dankbar für unsere 40 engagierten Ehrenamtlichen und die vier jungen Leute im Freiwilligendienst, die unsere Arbeit erst möglich machen.“ Der Job ist hart: Bis zu 300 Menschen – oft ohne deutsche Sprachkenntnisse – schauen täglich vorbei, viele sind obdachlos, haben psychische Probleme, suchen in der Hauptstadt ihr Glück. So wie Holger. Für ihn ist die „BaMi“, wie sie Mitarbeitende nennen, Anlaufstelle, Ruhepol und Hilfeeinrichtung. Gerade zoomt er rein und raus – in eine Karte am Laptop. Normalerweise ist Holger auf echten Straßen mit seinem vollgepackten Fahrrad unterwegs.

„Menschen ohne Smartphone und Computer sind von digitalen Angeboten ausgeschlossen.“

Gast am Laptop

„Gefördert von der Deutschen Bahn Stiftung starten wir das Projekt „Digital dabei sein!“ und bieten einen Arbeitsplatz mit Computer, Drucker und Internet-Zugang“, erklärt Sina Pietsch. Sie betreut Gäste am PC, unterstützt bei Recherchen oder Online-Anträgen. „Die Deutsche Bahn Stiftung fördert das Projekt zwei Jahre lang mit 60.000 Euro“, sagt die 21-jährige Werkstudentin. Ziel ist es, allen Zugang zum Internet zu bieten.

Anke Voigt erlebt täglich, dass Menschen, die auf der Straße leben, digital abgehängt sind: „Wer uns nach dem Weg in eine Notunterkunft fragt, dem müssen wir oft eine Wegbeschreibung aus dem Internet ausdrucken. Und auch Termine in Bezirksämtern lassen sich nur noch online vereinbaren. Menschen ohne Computer oder Smartphones sind davon ausgeschlossen.“ Das soll sich nun auch mit fachlichem Support des IT-Konzerns „Oracle“ ändern. Holger findet das Angebot der Bahnhofsmission super: „Ich suche online nach einem Zimmer. Vier feste Wände um mich rum, mit einer Tür, die ich abschließen kann. Wo man keine Angst mehr haben muss, ausgeraubt oder verdroschen zu werden.“ Der Niedersachse hat das Asperger-Syndrom und kam deswegen nicht gut im Berufsleben klar. Mittlerweile lebt Holger seit rund sechs Jahren auf der Straße, weil 427 Euro Rente für mehr nicht reichen.

Teil des Teams der Bahnhofsmission am Hauptbahnhof

Die gemeinsam von der Berliner Stadtmission und „In Via“ betriebene Bahnhofsmission im Hauptbahnhof, die von der Deutschen Bahn unterstützt wird, bietet auch einen Ruheraum für Mütter zum Stillen und Wickeln und es werden Verletzungen versorgt – körperliche wie seelische. Manchmal reicht eine respektvoll gereichte Tasse Tee, Kaffee oder Trinkschokolade, manchmal wird es ein Beratungsgespräch und die Vermittlung an andere Hilfeeinrichtungen. Der ehrenamtlich tätige Schichtleiter Dirk Eggestein organisiert sogar immer donnerstags ein Tischtennisturnier. Anke Voigt weiß: „Wir begegnen unseren Gästen auf Augenhöhe und wir sind der soziale Ort am Berliner Hauptbahnhof. Darum wäre es toll, wenn wir wie in Hamburg oder München rund um die Uhr geöffnet haben könnten.“

1894 wurde in Berlin die erste Bahnhofsmission gegründet, um Menschen auf Reisen Schutz zu bieten. In den Wirren nach dem Zweiten Weltkrieg war das besonders wichtig. Unter dem Vorwurf der Spionage für den Westen wurden in der DDR Bahnhofsmissionen verboten und die Mitarbeitenden inhaftiert. Nach dem Fall der Mauer öffneten in den neuen Bundesländern wieder Bahnhofsmissionen – inzwischen gibt es mehr als 100 Standorte. In Berlin gehören zwei dieser Bahnhofsmissionen zum Angebot der Berliner Stadtmission. Mehr zu den Bahnhofsmissionen in ganz Deutschland: bahnhofsmission.de