FAQ
Wie viele Obdachlose leben in Berlin? Warum werden Menschen wohnungslos? Wo finden Obdachlose ärztliche Hilfe?
Gemeinsam mit der Berliner Landeszentrale für politische Bildung haben wir die häufigsten Fragen und Antworten zum Thema Obdachlosigkeit in Berlin zusammengestellt.
Was ist Obdachlosigkeit? Was Wohnungslosigkeit?
Wohnungslos ist, wer keine Wohnung besitzt bzw. nicht über einen mit einem Mietvertrag abgesicherten Wohnraum verfügt.
Das sind zum Beispiel Menschen, die in Notunterkünften untergebracht sind, die als Selbstzahlende in Pensionen leben oder die vorübergehend bei Verwandten oder Bekannten unterkommen.
Als obdachlos werden Menschen bezeichnet, die ohne jegliche Unterkunft auf der Straße leben.
Warum werden Menschen wohnungslos?
Zerwürfnisse in der Familie oder Schicksalsschläge werfen manche aus der Bahn. Andere haben schon als Kind in Heimen gelebt und nirgends richtig Fuß gefasst. Psychische Krankheiten, Sucht oder ein Gefängnisaufenthalt können genauso zum Verlust der Wohnung beitragen wie ein Einkommen, das nicht mehr ausreicht, um steigende Mieten zu zahlen. Wachsen die persönlichen Probleme über den Kopf, verlieren manche den Überblick und kommen ihren Pflichten nicht mehr nach. Wer seine Miete nicht mehr zahlt, erhält irgendwann eine Räumungsklage.
Warum sind mehr Männer als Frauen von Obdachlosigkeit betroffen?
Führen Konflikte in der Familie zu einer Trennung, muss die gemeinsame Wohnung häufiger vom Mann als von der Frau verlassen werden, insbesondere bei Familien mit Kindern. Auch fällt es Frauen häufig leichter, in Notsituationen um Hilfe zu bitten, zumal sie in der Obdachlosigkeit noch wesentlich stärker gefährdet sind, Opfer von Gewalt zu werden.
Deshalb suchen viele Unterschlupf bei Bekannten oder Verwandten, selbst wenn sie dort Übergriffen und Nötigungen ausgesetzt sind. So ist die Dunkelziffer bei wohnungslosen Frauen sehr hoch.
Wie viele Obdachlose leben in Berlin?
Es gibt in Deutschland noch keine bundesweite Wohnungslosenstatistik, allerdings wurde 2019 ein Gesetzentwurf zur „Einführung einer Wohnungslosenberichterstattung“ verabschiedet. Hier werden allerdings die Menschen, die ohne Obdach auf der Straße leben und keinen Kontakt zu Behörden haben, nicht berücksichtigt.
In Berlin wurde am 29.1.2020 die erste Zählung obdachloser Menschen (im öffentlichen Raum und in Einrichtungen der Kältehilfe) durchgeführt. Es wurden 1.976 Menschen gezählt. Es ist davon auszugehen, dass nicht alle Betroffenen gefunden wurden, da bestimmte Orte (z.B. Privatgelände, teilweise Parks) nicht aufgesucht wurden. Die Zählung soll 2021 wiederholt werden. Darüber hinaus gibt es in der Stadt schätzungsweise bis zu 40.000 Wohnungslose – ein Viertel davon sind Frauen. Die meisten sind alleinstehend, es gibt aber auch obdachlose Paare und Familien.
Wie viele obdachlose Kinder und Jugendliche gibt es?
Es liegen auch hier keine eindeutigen Zahlen vor. Geschätzt wird, dass von ungefähr 2.500 minderjährigen Ausreißern pro Jahr in Deutschland etwa 300 zu Straßenkindern werden. Die absolute Zahl wird zwischen 2.000 und 6.500 geschätzt.
Die meisten von ihnen sind älter als 14 Jahre, ebenso viele Mädchen wie Jungen. Auslöser sind zum Beispiel schwere Probleme in der Familie, Misshandlung oder sexuelle Gewalterfahrungen. Viele suchen in der Anonymität der Großstädte Schutz vor Entdeckung. Für ihren Lebensunterhalt betteln sie, prostituieren sich oder begehen kleinere Diebstähle.
Welche Folgen hat Obdachlosigkeit?
Das Leben auf der Straße ist ein Leben in der Öffentlichkeit ohne Privatsphäre. Intime Dinge wie ein Toilettengang oder das Schlafen werden zu einer Herausforderung. Ungesunde Ernährung, schlechter Zugang zu medizinischer Versorgung, mangelnder Schutz bei extremen Wetterverhältnissen und fehlende Rückzugsund Ruhemöglichkeiten können zu unterschiedlichen gesundheitlichen und seelischen Schädigungen führen. Viele der Menschen, die lange auf der Straße leben, haben Gewalterfahrungen gemacht, sind vereinsamt, psychisch erkrankt oder trinken Alkohol, um ihre Situation ertragen zu können.
Wie werden Obdachlose unterstützt, wenn sie Hilfe akzeptieren?
„Niedrigschwellige“ Angebote wie zum Beispiel Suppenküchen, Tagesaufenthalte oder Übernachtungsmöglichkeiten im Winter sind in der Regel kostenlos und stehen allen offen, ohne sich ausweisen oder aktiv an einer Veränderung mitarbeiten zu müssen. Beratungsstellen helfen, einen Weg durch das Behördendickicht zu finden. Voraussetzung für Hilfe vom Sozialamt oder JobCenter sind eine Postadresse und das Vorhandensein gültiger Dokumente. Dann kann in ein Wohnheim – meist im Mehrbettzimmer – eingewiesen oder in ein Projekt vermittelt werden, in dem man Unterstützung auf dem Weg zu einem Leben mit mietvertraglich abgesichertem Wohnraum erhält.
Aus welchen Ländern stammen in Berlin Menschen ohne Obdach?
Obdachlosigkeit, zumindest in Großstädten, ist international. Die Kältehilfe der Berliner Stadtmission beherbergte im Winter 2018/2019 Gäste mit 116 verschiedenen Nationalitäten.
Sie kommen in der Hoffnung, hier Arbeit zu finden. Erfüllt sich diese nicht, kehren viele nicht ins Herkunftsland zurück.
Einen Anspruch auf soziale Unterstützung haben die meisten weder in Deutschland noch in ihren Herkunftsländern.
Unterscheiden sich die Hilfeleistungen für deutsche und nicht-deutsche Staatsbürger?
Die meisten der Versorgungsangebote, wie Suppenküchen oder Notübernachtungen, stehen allen offen.
Geld zum Leben erhält aber nur, wer in Deutschland einen Anspruch auf Hilfe hat – und den haben Menschen aus dem Ausland nur in Ausnahmefällen.
Selbst wenn Ansprüche bestehen, sind diese für alle diejenigen, die kein Deutsch sprechen und sich im deutschen Rechtssystem nicht auskennen, nur schwer durchzusetzen.
Gibt es so etwas wie Gemeinschaft unter Obdachlosen?
Wenn man Betroffenen die Frage nach Gemeinschaft oder Solidarität stellt, sagen manche „ja“ und manche „nein“. Es gibt Gruppen, in denen gegenseitige Unterstützung stattfindet, dieses sieht man vor allem bei jungen Obdachlosen.
Andererseits gibt es auf der Straße zahlreiche Einzelgänger und Einzelgängerinnen und Menschen, die seelisch krank sind. Für Süchtige ist das Allerwichtigste, an ihre Droge zu kommen, dabei wird dann keine Rücksicht auf andere genommen.
Wo finden Obdachlose ärztliche Hilfe?
Viele obdachlose Menschen sind gesundheitlich in einem sehr schlechten Zustand. Auch wer Sozialleistungen bezieht und krankenversichert ist, schämt sich oft, in eine Arztpraxis zu gehen. Viele verdrängen ihre Beschwerden. Zwar gibt es spendenfinanzierte medizinische Anlaufstellen für Obdachlose (hier in Berlin sind es etwa fünfzehn). Diese können jedoch nur notdürftig helfen.
In lebensbedrohlichen Situationen sind die Krankenhäuser auch ohne Versicherungsschutz zur Behandlung verpflichtet.
Warum wird Hilfe nicht in Anspruch genommen?
Scham ist ein wichtiger Grund dafür, dass obdachlose Menschen nicht um Hilfe bitten. Auch haben manche bereits schlechte Erfahrungen gemacht, der Kontakt mit Behörden und anderen Einrichtungen wurde als frustrierend bürokratisch und die angebotene Hilfe als bevormundend erlebt.
Mit der Rückkehr in die Erreichbarkeit tauchen „unerledigte Altlasten“, wie Schulden oder Gerichtsverfahren wieder auf. Auch gibt es Menschen, die das Leben auf der Straße der Einsamkeit in einer Wohnung vorziehen.
Welche Hilfe brauchen Obdachlose am dringendsten?
An erster Stelle steht alles, was das Überleben sichert: Essen und Trinken, Schutz vor Kälte und Nässe sowie vor Gewalt. Wichtig ist der Zugang zu einer grundsätzlichen finanziellen Absicherung, einer sicheren Unterkunft und zu medizinischer Versorgung.
Darüber hinaus sind auf lange Sicht auch die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft und das Gefühl, gebraucht zu werden, lebensnotwendig. Viele Betroffene geben an, dass es für sie sehr wichtig ist, wieder eine Arbeit zu finden.
Ist die Rückkehr in ein ‚normales Leben‘ für Obdachlose möglich?
Es braucht viel Zeit und Geduld, einen Menschen, der lange auf der Straße gelebt hat, auf dem Weg zurück in ein „normales“ Leben zu begleiten. Obdachlosigkeit verändert Menschen. Mögliche Folgeerscheinungen können Verwahrlosung, Minderwertigkeitsgefühle, eingeschränkte Gemeinschaftsfähigkeit, Misstrauen oder die Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen, sein. Die angebotene Hilfe berücksichtigt die individuelle Situation von Einzelnen nicht immer und überfordert. Trotzdem finden immer wieder Einzelne zurück in ein Leben mit Wohnung, Beziehungen und Erwerbstätigkeit.
Sind Obdachlose auch körperlicher Gewalt ausgesetzt?
Viele obdachlose Menschen berichten von Gewalterfahrungen, Frauen sind sexuellen Übergriffen ausgeliefert. Wegen der fehlenden Rückzugsräume ist das Leben auf der Straße sehr gefährlich. Feindseligkeit gegenüber Obdachlosen ist weit verbreitet, rund ein Drittel der Bevölkerung äußert abwertende Einstellungen. Gewalttaten geschehen auch zwischen Obdachlosen, zum Beispiel bei Streit um Schlafplätze oder Besitztümer.
Genaue Zahlen gibt es nicht, da die Polizeistatistik obdachlose Opfer nicht extra erfasst.
Wo gehen Obdachlose auf Toilette? Wo können sie duschen?
Wenn man unterwegs auf die Toilette muss, aber gerade keine in der Nähe ist, so ist das unangenehm. Für obdachlose Menschen ist dies der Alltag. Fast alle WCs in der Stadt kosten Geld. Bleibt der Park oder eine geschützte Ecke. Duschen und Wäsche waschen ist während der Öffnungszeiten in Wohnungsloseneinrichtungen möglich. In Berlin wurde im Dezember 2015 neben der Bahnhofmission Zoologischer Garten das erste Hygienezentrum für Obdachlose eröffnet, das im Jahr 2018 rund 81.000 Mal genutzt wurde.
Wo schlafen Obdachlose?
Soziale und kirchliche Initiativen organisieren im Winter häufig Notübernachtungen. Die gut erreichbaren Angebote sind allerdings häufig überfüllt, es ist laut und riecht streng. Der Standard ist in der Regel sehr einfach, geschlafen wird in Mehrbettzimmern, manchmal sogar nur auf Isomatten.
Im Sommer gibt es kaum kostenlose Schlafangebote. Ein guter Schlafplatz draußen ist wettergeschützt und möglichst sicher vor Störungen und Übergriffen. Hilfreich ist, wenn man tagsüber seine Schlafsachen in der Nähe verstauen kann.
Wieso haben Obdachlosen Tiere?
Für viele obdachlose Menschen ist ihr Tier (oft ein Hund) der beste Freund und die einzige verlässliche Beziehung in ihrem Leben.
Das Wohl des Tieres ist dann mindestens so wichtig wie das eigene.
Da die meisten Übernachtungseinrichtungen keine Tiere akzeptieren, verzichten viele Tierbesitzende lieber auf die Hilfe, als auf ihren Kameraden.
Dürfen Obdachlose wählen?
Wahlberechtigte können auch als Obdachlose wählen. Voraussetzung ist, sich dort, wo man sich gewöhnlich aufhält, ins Wählerverzeichnis eintragen zu lassen. Ein entsprechender Antrag kann nach Feststellung der Identität in den Wahldienststellen der Bezirke gestellt werden. Das muss mindestens 21 Tage vor der jeweiligen Wahl geschehen.
Manche Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe unterstützen bei der Antragstellung oder bescheinigen Name und Aufenthalt von Betroffenen, die keinen Ausweis haben.
Was passiert mit Obdachlosen, wenn sie sterben?
Wenn ein Obdachloser stirbt und die Angehörigen des Verstorbenen nicht auffindbar sind, beauftragt das Sozialamt ein Bestattungsinstitut, das für die Beisetzung auf einem städtischen Friedhof sorgt.
Wenn eine Wohnungsloseneinrichtung, in der die Person sich aufgehalten hat, vom Tod erfährt, wird häufig versucht, ein würdevolles Begräbnis zu organisieren und Freunden und Bekannten die Möglichkeit zu geben, Abschied zu nehmen. Wer unbekannt stirbt, wird anonym beigesetzt.
Wie kann ich helfen?
Ich sollte meinem Gegenüber Achtung erweisen, auch wenn er oder sie ein ungepflegtes Erscheinungsbild hat oder sich sozial auffällig verhält. Hilfreich ist, wenn ich ein freundliches Wort sagen oder ein Gespräch anbieten kann. Wenn ich einem bettelnden Menschen Geld gebe, sollte ich mich nicht daran stoßen, dass er es nach seinen eigenen Vorstellungen ausgibt.
Es hilft auch, soziale Organisationen mit Geld- oder Sachspenden zu unterstützen oder ehrenamtlich mit zu arbeiten.