Ich trinke, weil mein Herz blutet
Was mache ich hier eigentlich? Ich sitze in einem Raum voller Fremder, bekomme von fremden Leuten Essen gereicht und ab und an stellen sie seltsame Fragen.
Ja, im Grunde kann ich dankbar sein, habe ein Dach über dem Kopf und über die Nacht hab ich es wärmer als draußen. Und im Grunde bin ich nicht gern draußen. Im Knast freute ich mich über das Bett und das regelmäßige Essen. Aber das Gelbe vom Ei ist es auch nicht.
Die letzten Jahre habe ich echt abgebaut. Man, ging‘s mir schlecht. Jeder Brief machte es mir schwerer, mich frei zu fühlen. Warum sollte ich sie dann noch öffnen? Abgerutscht bin ich, wie man so schön sagt. Die Wohnung hat man mir unter dem Hintern weggezogen, damit verlor ich den nächsten Halt. Freunde haben mich aufgenommen, aber die haben ihr eigenes Leben. Und Familie? Durch die bin ich erst rein gerutscht. Nein danke!
Jetzt muss ich allein zusehen, wie ich Land gewinne. Bin doch erwachsen. Aber es geht nicht. Fragt nicht, warum. Ich weiß die Antwort nicht.
Nun sitzt man hier, mit einem Teller Brötchen und Salat und habe einen dicken Kopf. Gestern, der Griff zur Flasche, hat nichts Gutes hinterlassen. Außer für eine Weile Ruhe im Kopf. Ich trinke eben, wenn mein Herz blutet.
Morgen muss ich zum Amt, also schon freiwillig. Fast alle Papiere habe ich zusammen. Schon fast leicht war es, mir eine Postanschrift zu besorgen, beim Sozialamt nach Wohnplatz zu fragen und den Harzt-IV-Antrag zu stellen. Hat mich selbst überrascht. Hab‘ das nun selbst gemacht, wo die letzten Jahre nix mehr ging. Könnte ein bisschen stolz auf mich sein.
Jetzt muss ich ins Bett, sonst ist der Kater morgen noch da. Und den kann ich nicht brauchen. Wenn das morgen beim Amt nicht klappt, ist der Kater übermorgen vielleicht wieder mein Kumpel. Aber irgendwie hab‘ ich keinen Bock mehr drauf.
Isabel Otzowsky über einen Gast der Notübernachtung
Leiterin Notübernachtung Kopenhagener Straße (NÜ2)
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