Menschen und Geschichten
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  • 29.05.2024

Eingliedern statt Ausgrenzen

Europäische Wohnungslose werden muttersprachlich beraten

Obdachloser im Zelt an der Straße im Gespräch mit Mitarbeitenden

Warum Zlatko* sich die Gehweg-Ecke einer belebten Kreuzung als Zeltplatz ausgesucht hat, weiß niemand. Warum der Bulgare sich weigert, unter ein schützendes Vordach umzuziehen, auch nicht. „Wir haben ihn das alles schon gefragt“, sagt Stefan Kraneis, Sozialarbeiter bei der „Beratung für europäische Wohnungslose in Mitte“ (BeWiM). Finanziert wird das Projekt vor allem aus dem EU-Programm „Eingliederung hilft gegen Ausgrenzung der am stärksten benachteiligten Personen“ (EhAP Plus) und vom Bezirksamt Berlin-Mitte. Stefan Kraneis besucht Zlatko regelmäßig für das Stadtmissionsprojekt und bietet Hilfe an, heute mit seinem Kollegen Radu Hatmanu. Die Mitarbeitenden sprechen obdachlose Menschen mit komplexen Problemen an, bauen Vertrauen auf, um später passende Angebote und Einrichtungen zu vermitteln.

„Dorthin begleiten wir die Menschen oft, weil sie sonst verloren wären“, weiß der 31-Jährige.

Sprachbarrieren und begrenzte Hilfsbereitschaft bei Behörden würden dafür sorgen, dass Hilfesuchende trotz Notlage und mitgebrachter Dokumente abgewiesen werden. „Wenn jemand von uns daneben sitzt, ist häufig alles kein Problem mehr“, sagt er. Solche Erlebnisse frustrieren, denn sie machen das Leben besonders benachteiligter, neuzugewanderter Menschen noch schwerer. Sein Kollege Radu Hatmanu nickt. Der 47-jährige Moldauer ist seit sechs Wochen dabei. Er kann mehrere Sprachen, wie alle im Team. Denn BeWiM wendet sich in Deutsch, Russisch, Polnisch, Rumänisch und Bulgarisch an die Klient:innen.
„Nur so können wir uns um die Menschen kümmern, die es am schwersten haben“, sagt der Sozialarbeiter.

gruppenbild vom BeWiM Team

Viele Osteuropäer:innen kommen nach Berlin, weil sie von einem besseren, sicheren Leben mit guter Arbeit träumen. Stattdessen haben sie Schwierigkeiten: „Wenn wir in ihrer Muttersprache mit ihnen reden, ist es leichter, ins Gespräch zu kommen und Hilfe anzubieten“, weiß Radu Hatmanu.
Trotzdem dauert es, bis die Klient:innen ihnen vertrauen. Pro Monat kann jeder und jede aus dem Team etwa 30 Menschen weiterhelfen. Oft sind Behördengänge notwendig, das ist zeitintensiv. Manchmal reicht es aber auch, die Menschen zur Ambulanz der Berliner Stadtmission und in die Kleiderkammer zu schicken. Oder ihnen eine Fahrkarte zu kaufen. So konnte Sozialberaterin Magdalena Szczepaniak einem Senior aus Polen schnell und unbürokratisch helfen: „Jemand hatte ihn mit einem Jobangebot nach Berlin gelockt und ließ ihn am Busbahnhof sitzen“, erinnert sie sich. Verzweifelt übernachtete der ältere Herr im Park und wachte ohne Handy und Gepäck wieder auf. Auch sein Geld wurde gestohlen. Niemand wollte ihm ein Mobiltelefon leihen und verständigen konnte er sich nicht. Drei Monate vergingen.

„In der Kleiderkammer habe ich ihn in seiner Muttersprache angesprochen und er hat mir sofort alles erzählt“, sagt die polnische Sozialberaterin. Sie riefen seine Frau an, die dachte, ihr Mann sei nicht mehr am Leben. „Schon am nächsten Tag fuhr er mit einem Bus nach Hause.“ Einen anderen Klienten konnte das Team nach einem Gefängnisaufenthalt begleiten, bis er eine feste Bleibe und Arbeit hatte. Er war glücklich, als er wieder ein Konto mit einer Bankkarte besaß.

*Namen geändert