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  • 02.10.2022

Erntedankfest - „Vergiss nicht das Gute“

von Gerold Vorländer, Pfarrer, Leitung Dienstbereich Mission

Kurz nach dem kalendarischen Herbstbeginn, am ersten Sonntag im Oktober feiern Christen hierzulande das Erntedankfest - entstanden vor Jahrhunderten in einer Agrar-Gesellschaft. Die Altäre in den Kirchen werden auch heute noch wie früher mit malerischen Erntegaben geschmückt - manchmal aber auch mit Konservendosen, die man anschließend gut weitergeben kann. Gleichzeitig hat sich das Themenfeld erweitert. Es geht schon lange nicht nur um Ernte, sondern zugleich um Bewahrung der Schöpfung und um Dankbarkeit allgemein. Beides sind allerdings Themen, zu denen man in diesem Jahr nicht besonders viel Lust hat. Das Stichwort „Klimaschutz“ löst eher Ohnmachtsgefühle aus. Und Dankbarkeit wird von all den Sorgen aufgefressen, die uns umtreiben. Wenn man zu denen gehört, die gerade kaum wissen, wie sie finanziell über den Winter kommen, mag man eine Aufforderung zur Dankbarkeit als zynisch empfinden. Wenn man zu den Bessergestellten gehört, die auf die staatlichen Hilfspakete nicht unbedingt angewiesen sind, mag man womöglich den anderen gegenüber ein schlechtes Gewissen haben. So kommt auch keine rechte Dankbarkeit auf. Und die Furcht vor dem, was noch auf uns zu kommen kann, verdirbt auch da die Laune.

Biblisch verstanden ist Dankbarkeit aber eine Therapie gegen beides. Im Psalm 103 heißt es: „Lobe den Herrn meine Seele und vergiss nicht, was er (Gott) dir Gutes getan hat.“ Gerade dann, wenn unsere Gedanken und Gefühle gefangen genommen werden von all den Sorgen und Ängsten, von den Bedrohungen und Befürchtungen: Gerade dann brauchen wir Dankbarkeit als Gegenmittel. Gerade dann, wenn wir schwarzsehen und uns festsehen, brauchen wir Dankbarkeit als Sehhilfe. Nicht, um die Probleme schön zu reden oder zu verdrängen. Aber um wahr!-zu-nehmen: Es gibt auch die andere Seite – immer noch. Und es wird sie immer geben! Nehmen wir das Beispiel der teilweise vertrockneten Ernte in diesem Sommer. Ja, das ist ein Problem – und zwar nicht nur schicksalhaft, sondern durch industrielle Landwirtschaft mit verursacht. Dem müssen wir uns stellen. Aber darf das verhindern zu sehen, was alles gewachsen ist und Früchte getragen hat? Dieser übervolle Apfelbaum z.B. in einem Garten in Berlin-Lübars. Wie unzählige weitere Apfelbäume und Streuobstwiesen. Erlauben wir uns, das noch zu sehen? Können wir uns daran noch freuen? „Lobe den Herrn meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ Das ist wie eine Waage mit zwei Schalen. In der einen liegen die Probleme und Sorgen. Gefühlt ist die immer voll oder füllt sich von selbst und zieht uns runter. So sind wir gestrickt. Die andere Waagschale aber bleibt leer, wenn wir das Gute vergessen, was wir trotz allem immer und immer wieder auch erleben können. Das Erntedankfest lädt uns ein, das Gute zu sehen, es sich nicht kaputt reden zu lassen, sich daran zu freuen und dankbar zu sein. Diese Dankbarkeit zieht uns nach oben, macht Mut und Hoffnung. Genau das, was wir jetzt brauchen! Das geht auch ohne Glaube an einen gütigen Gott. Aber wenn die Dankbarkeit eine Adresse hat, der man vertraut, wirkt die Therapie noch nachhaltiger und die Hoffnung noch stärker. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen zum Herbstbeginn einen neuen Zugang zur Dankbarkeit als Quelle einer Hoffnung, die nach oben zieht.

Haben Sie Lust, das Erntedankfest gemeinsam mit anderen zu feiern?

Dann sind Sie herzlich eingeladen, an einem der Gottesdienste unserer Stadtmissionsgemeinden teilzunehmen. Wir freuen uns auf Sie!