Menschen und Geschichten
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  • 29.05.2024

Gut, dass wir einander haben

Seit 2014 gibt es den Beschäftigungs- und Förderbereich am Mühlenfließ

Stuhlkreis

Christoph hat seine Mitbewohnenden am Klavier begleitet, nun balanciert der blinde Mann zwei Trommeln auf seinem Schoß, klopft rhythmisch darauf und gibt den Takt an. Wochentags stimmt der Morgenkreis in der Wohnstätte Rahnsdorf die dort lebenden Menschen mit Behinderung auf den Tag ein: Neun Frauen und zwei Männer sitzen mit vier Betreuerinnen im Gemeinschaftsraum und singen: „Gut, dass wir einander haben“. Anschließend spricht Ergotherapeutin Cornelia Leister das Abschluss-Gebet und begleitet mit ihren Kolleginnen die Männer und Frauen in verschiedene Räume. Sie sind teilhabe-beeinträchtigt und können nicht oder nicht mehr in Werkstätten arbeiten. Cornelia Leister hat deshalb vor zehn Jahren den Beschäftigungs- und Förderbereich am Mühlenfließ in Berlin-Rahnsdorf aufgebaut. Mit fünf Mitarbeiterinnen macht sie den 15 Teilnehmenden Angebote: So übt Denise Müller*im Sommerhaus, mit Oliver, der im Rollstuhl sitzt, das Greifen. „Mach dich schön grade, Oli“, sagt die 27-Jährige und reicht ihm einen Plastik-Löwen. „Jetzt greif mal zu und halte ihn schön fest.“ Das gelingt für Sekunden, dann plumpst der Löwe in eine Kiste. „Es ist wichtig, dass Oliver sich konzentriert und das Greifen übt“, erklärt die Erzieherin. Denn seine Hand hilft ihm auch dabei, sich zu verständigen. An seinem Rollstuhl ist ein Tablett angebracht mit „Ja“ und „Nein“. Darauf kann Oliver zeigen, wenn ihn jemand etwas fragt. Sprechen kann er nicht.

Oliver übt kontrolliert Gegenstände zu greifen

Nun wendet sich Denise Müller an Suse, die ihr gegenüber sitzt. „Was ist das für ein Tier?“ „Eine Kuh“, antwortet sie. „Und was macht die Kuh?“ Auch das weiß
Suse, lächelt und sagt „muuuh“. Nebenan musiziert eine Gruppe, im Haupthaus macht Musikpädagogin Susanne Walz Quigong. Mit sanfter Stimme leitet sie die Frauen zur Meditationsmusik an: „Wir strecken die Arme hoch und nehmen beide Hände vor und zurück, so wie die Wolken ziehen“, erklärt sie und erinnert: „Immer schön die Schultern nach unten ziehen“. Heute üben sie Wolken und Regenbögen. 50 weitere Tänze kennen die Teilnehmenden, die sie auch mit Reifen oder Tüchern einstudieren. „Oft haben sie Sorge, dass sie es nicht schaffen“, weiß Susanne Walz, „aber wenn sie mitgetanzt haben, sprechen sie noch lange davon und sind stolz.“

Ein weiterer Teilnehmer präsentiert, was er gerade macht: Geschickt befestigt der 24-jährige Pailletten mit kleinen Nadeln auf Styropor. „Wir puzzeln auch manchmal oder spielen mit Playmobil“, sagt Cornelia Leister. Alte Playmobilsets können gerne abgegeben werden. Auch für Computer und Technik interessiert sich der junge Mann. „Deshalb gehen wir morgen ins Piksl-Labor zur digitalen Teilhabe“, verrät die Leiterin des Beschäftigungs- und Förderbereichs am Mühlenfließ.

Der junge Mann, der seinen Namen nicht nennen möchte, wohnt im Betreuten Einzelwohnen in Mahlsdorf und fährt seit anderthalb Jahren alleine mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Rahnsdorf. „Früher war ich in Weißensee, aber die sind nicht gut auf mich eingegangen“, erzählt er. Nach Rahnsdorf kommt er gerne, auch weil er sich ernst genommen fühlt vom Team um Cornelia Leister. Sie ist schon seit 26 Jahren bei der Berliner Stadtmission beschäftigt: „Ich mag es sehr, mit den Menschen hier zu arbeiten, weil wir direkt und ehrlich zueinander sein können.“ Dabei ist ihr ein respektvolles Miteinander wichtig. Ihren Mitarbeiterinnen lässt sie viel Raum für kreative Aktivitäten. Gemeinsam motivieren sie die Teilnehmenden, assistieren ihnen und lassen sie möglichst viel selbst machen – und dass, obwohl einige Frauen und Männer zusätzlich noch körperlich eingeschränkt sind. Cornelia Leister weiß: „So können wir am besten den Selbstwert der Teilnehmenden stärken.“