Menschen und Geschichten
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  • 02.02.2023

Schatten der Gesellschaft

Lesung am 10.02. im Zentrum am Zoo

Der Zeichner und Autor Sebastian Lörscher porträtiert in „Schatten der Gesellschaft“ mit wachem, liebevollem Blick Menschen ohne Obdach.

Am 10.02. um 18.00 Uhr hält er zur Eröffnung seiner Ausstellung eine Lesung im Zentrum am Zoo, am Harderdenbergplatz 13.

Wir haben ihn vorab am S-Bahnhof Lichtenberg getroffen, an dem er 2019 viel Zeit mit obdachlosen Menschen verbracht hat, und mit ihm über sein neues Buch gesprochen.

Porträt Sebastian Lörscher

Berliner Stadtmission: „Wie kam es zu dem Projekt?“

Sebastian Lörscher: „Ich war die letzten Jahre in der weiten Welt unterwegs und habe mich der Reportage-Zeichnung gewidmet. Über das Zeichnen lerne ich Menschen kennen. Am meisten interessiert es mich, durch meine Arbeit denen eine Stimme zu geben, die nicht so gehört werden. Hier in Berlin sehe ich oft obdachlose Menschen, ohne viel über sie zu wissen. Deshalb bin ich an Orte gegangen, wo sie ihren Winter verbringen.“

 

Berliner Stadtmission: „Hat sich durch deine Arbeit dein Blick auf Menschen ohne Obdach verändert?“

Sebastian Lörscher: „Natürlich hatte ich auch Stereotype über obdachlose Menschen im Kopf. Man denkt ja immer: Da ist irgendwas schiefgelaufen. Die sind Alkoholiker, Drogensüchtige oder haben psychische Krankheiten und sind deswegen auf der Straße gelandet. Dass es oftmals andersrum ist, habe ich erst durch das Projekt gelernt und auch, dass diese Standard-Biografie eigentlich fast auf niemanden passt. Alle haben ihre ganz eigene Geschichte und sind ganz faszinierende Leute, wie überall anders auch. Ich habe jetzt mehr Verständnis für die Welt hier draußen. Früher habe ich oft gedacht: Wenn ich jetzt was gebe, kauft sich der Mensch sowieso nur Drogen oder Alkohol davon. Jetzt denke ich: Ja, dann braucht er das halt, dann gehört das zu seiner Lebensrealität. Ich denke nicht mehr so von oben herab: Hier hast du einen Euro, dann kauf dir aber auch einen Apfel davon.“

 

Berliner Stadtmission: „Hat sich auch in deiner Interaktion mit Menschen ohne Obdach etwas verändert?“

Sebastian Lörscher: „Es kommt inzwischen häufiger vor, dass ich z.B. ein paar Worte mit den Menschen wechsle, die in der Bahn vorbeikommen. Und es fällt mir mittlerweile sehr schwer, an Menschen vorbeizugehen, ohne etwas zu geben.“

Zeichnung von einem obdachlosen, sitzenden Mann

Berliner Stadtmission: „Wie können wir Menschen ohne Obdach zeigen, dass sie uns nicht egal sind?“

Sebastian Lörscher: „Viele haben mir gesagt, dass die Leute sie gar nicht anschauen. Dass sie wie ,stinkender Abschaum´ behandelt werden, der irgendwo rumliegt. Die Obdachlosen sehen im Blick der Vorübergehenden, dass sie sich nicht mit dem Thema beschäftigen wollen. Für sie ist es ein großer Unterschied, wenn man sie freundlich anschaut und Blickkontakt zulässt. Das ist schon viel. Ihnen zu vermitteln, dass sie trotz ihrer Lebensweise dazugehören.“

 

Berliner Stadtmission: „Hast du von den Menschen ohne Obdach etwas gelernt?“

Sebastian Lörscher: „Von einigen habe ich gelernt, das Beste aus einer Situation zu machen. Obwohl es ihnen oft nicht gutgeht, haben Viele ihren Humor und vor allem auch ihre Herzlichkeit nicht verloren.“

 

Berliner Stadtmission: „Was erwartet uns in der Ausstellung?“

Sebastian Lörscher: „Neben den Zeichnungen werden Auszüge der schriftlichen Porträts ausgestellt. Bei der Vernissage erzähle ich einige Geschichten der Menschen. Vielleicht kommen auch ein bis zwei der Protagonisten aus dem Buch dazu, was jedoch noch nicht sicher ist.“

 

Berliner Stadtmission: „Was wünschst du dem Buch?

Sebastian Lörscher: „Ich war sehr berührt von den Begegnungen. Ich hoffe, dass diese Geschichten zu mehr Sensibilität für die Schicksale führen. Nicht jeder geht ja nachts durch Berlin und redet mit obdachlosen Menschen.“

 

Berliner Stadtmission: „Wie kommt es, dass du 2019 an dem Projekt gearbeitet hast und das Buch erst jetzt veröffentlich wurde?“

Sebastian Lörscher: „2019 habe ich es als interaktives Online-Projekt veröffentlicht. Letzten Sommer hat sich die Landeszentrale für Politische Bildung gemeldet, weil ihnen Bücher zu Obdachlosigkeit fehlen. Sie hat angeregt, das Projekt in Buchform zu überführen. Ich habe den Jaja Verlag gefunden, der das innerhalb von zwei Monaten mit mir realisiert hat.“

 

„Jeder hat das Recht auf der Straße zu leben. Es gibt nichts Menschenunwürdiges daran, wenn jemand anders leben will, als die Gesellschaft es vorgibt.“ Sozialarbeiterin Jana, Zitat aus dem Buch